Sterben und Leben mitten im Leben
Kirschsaft floss aus dem Kelch in den Mund der Protagonistin, über die Lippen und über den Leib. Er rann auf das Dekolleté und die Brust bis zum Bauch. Das Hemd färbte sich rot.
Zum Verständnis der Szene hilft das Wissen darum nicht weiter. Und wahrscheinlich hilft auch nicht weiter, wenn man weiß, dass hinter der Protagonistin noch eine andere Akteurin stand. Diese andere Akteurin sagte nichts und tat nichts. Sie stand nur da und hielt in der Hand einen Strohhalm. Nicht den aus Stroh (aus der Krippe), obwohl das auch gepasst hätte, sondern nur einen, an den sie sich klammert. Lass diesen Kelch an mir vorübergehen. Das denkt man vielleicht, wenn man sie sieht und ist froh, dass man nicht im Nachtasyl schlafen muss. Denn die mit dem Strohhalm ist ohne Obdach.Und das denkt auch die Protagonistin ganz laut auf der Bühne und hat im Blick, dass es nicht nur um die anderen geht beim Thema Obdach und Nachtasyl, sondern auch um sie selbst. Denn sie selbst trägt einiges in sich, das in der Tat unerwünscht ist von ihr selbst in ihr selbst und das sie lieber im Nachtasyl schlafen und leben lässt.
Lass diesen Kelch an mir vorübergehen, das schreit sie ganz laut. Und hat keine Lust (auf Heu und) auf Stroh.
Doch als sie dann irgendwann später selbst nach dem Strohhalm greift und den Kelch trinkt, von dem sie doch hoffte, dass er an ihr vorübergeht, da hält sie nach dem gellenden Todesschrei unvermutet das Kind im Arm, das im Stroh ganz verborgen lag. Und steht da und ist über und über befleckt vom Blut des Todes und der Geburt und hört unüberhörbar den Schrei des Lebens.
Präsentiert: Zur Langen Nacht der Wissenschaften 2007, Universität Rostock
Akteure: Felipa Burnay Pereira, Katharina Ehler, Runa Hellwig, Maria Jarmer, Gernot Knönagel, Stefan Schumacher, Carolin Sommer
Cello: Matthias Döring
Skript: Felipa Burnay Pereira, Katharina Ehler, Maria Jarmer, Gernot Knönagel, Dr. Petra Schulz, Stefan Schumacher
Technik: Gernot Knönagel, Oliver Erckens, Alexander Lemke
Leitung: Dr. Petra Schulz