Bei Erkrankung an Alzheimer kommen Menschen an ihre Grenzen. Umgang mit Grenzen und Leben an Grenzen ist schwer. Sinnfragen stellen sich ein. Angst, Unsicherheit und Schuldgefühle sind mit im Spiel. Blicke und Worte.
Wer mitten in Alter(n), Krankheit und Tod Heilung und Leben wahrzunehmen sucht, gerät unvermutet in außerordentliche, nämlich außerhalb der konventionellen Ordnung befindliche Welten. Räume im Pflegeheim können Welten solcher Art sein. Auch Räume der Pflege in ganz normalen Wohnungen. Ihrer zum Beispiel. Und wenn noch nicht jetzt, dann vielleicht später einmal. Wer von diesen Räumen aus schaut, sieht das gewohnte Leben anders. Die Frage ist allerdings auch, aus welcher Perspektive er von diesen Räumen her schaut. Kein Raum ohne Hierarchie. Wer sitzt wo in einem Pflegeheim oder in einer Wohnung? Wer hat das Sagen? Was hat er zu sagen? Was sagt er oder auch nicht? Und wer bestimmt wen wie? Wer hat die Deutungsmacht? Wer setzt wen unter Druck und wie geschieht dies? Wer ist bedürftig und wann?
(Grenzen)
Freundlich sein. Freundlich sein. Freundlich sein. Freundlich sein. Manchmal möchte ich schreien, schlagen, um mich schlagen. Da halte ich diese Freundlichkeit nicht mehr aus, die ich vor mir hertrage, die meine Grenzen porös werden lässt. Bitte nicht ärgerlich werden. Bitte im Ton angemessen bleiben. Bitte recht freundlich. Das regt mich auf.
Ich habe Grenzen. Grenzen. Grenzen. Grenzen. Grenzen. Grenzen. Wer sieht eigentlich meine Grenzen? Und wer akzeptiert sie?
Akzeptiere ich sie? Sehe ich meine Grenzen?Ich bin voller Angst, voller Angst, voller Angst.
Ich könnte schreien.
Vor Angst, dass die anderen sie sehen, meine Grenzen. Ich halte es nicht mehr aus.
Ich sitze im Glashaus. Alle können mich sehen und sehen mich an und zwar dann, wenn ich so gar nichts mehr sehen kann.
Ich habe Angst. Ich könnte jetzt schreien.
Aber warum denn? Das ist doch nicht nötig! Das ist wohl jetzt neu.
Ich habe Angst. Ich könnte jetzt schreien.
Aber warum denn? Das ist doch nicht nötig! Das ist wohl jetzt neu.
Mit Steinen soll die, die im Glashaus sitzt, auf keinen Fall werfen. Sagt man. Manchmal will ich das schon. Oder doch nicht? Vielleicht. Dann nehm ich den Stein, der mir schwer liegt im Magen und meine Seele tagtäglich drückt und hole weit aus und werf ihn ins Glas und das bricht und das klirrt und Frischluft kommt in mein Glashaus und ich kann atmen ganz neu. Und es fällt mir von den Augen wie Schuppen. Ich sehe ganz neu. Dann kehr ich die Splitter und sauge den Rest. Vielleicht.
Aus: Petra Schulz, FaltenRiss. Alter neu sehen. Ein Reiseführer durch Welten von Alter, Krankheit, Sterben, Tod, Heilung und Leben, Gera 2017, 65-67.
Präsentiert: Zur Langen Nacht der Wissenschaften 2012, Universität Rostock und im Tessinum (Zentrum für ältere Menschen), Tessin.
Kommunikationspreis der Nacht der Wissenschaften 2012, Universität Rostock
In Kooperation mit: Dr. med. Antje Kloth
Akteure: Carolin Biemann, Benjamin Breutel, Katharina Höhn, Antje Kloth, Dr. Petra Schulz
Skript: Benjamin Breutel, Antje Kloth, Dr. Petra Schulz
Technik: Gernot Knönagel
Leitung: Dr. Petra Schulz